die verhungerte Seele

Das Verhältnis von Leben und Tod hat sich radikal gewandelt. Es gab eine Zeit, da stand das Leben an erster Stelle, da galt ihm die wichtigste, die zentrale Sorge, während der Tod eine Nebenerscheinung war, dem Leben gegenüber sekundär, dessen Ende. Heute herrscht der Tod in all seiner Majestät, während das Leben unter einer dicken Ascheschicht kaum mehr glimmt. Diese schwache Lebensglut ist matt, elend und kümmerlich, arm, ohne allen freien Atem, ohne jeden Funken einer geistigen Substanz. Sowohl im Einzelnen als auch in der Gemeinschaft ist anscheinend die Seele selbst verhungert und abgestorben, betäubt und verdorrt. Was bleibt, sind nur die Bedürfnisse des Leibes; und dieser fristet lediglich eine organisch-physiologische Existenz.”

Abraham Lewin,
Grabrede für Yitzhak Meir Weissenberg,
13. September 1941
aus: A Cup of tears: A Diary oft the Warshaw Ghetto

zitiert nach Saul Friedländer

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4 Antworten zu die verhungerte Seele

  1. Ingrid Sander sagt:

    Lieber Veit!
    Bin durch Olaf zu Deinen Beiträgen gekommen und bin vor Begeisterung hin und her gerissen. Habe mir schon einiges von Dir abgekupfert. Besonders Deine Beiträge Manchmal oder auch gelegentlich sowie Die verhungerte Seele haben mich vom Stuhl gerissen. Ich frage mich jetzt ganz besorgt, wie konnte Abraham Lewin schon 1941 – in einem ganz anderen Umfeld – unsere 2013er Konsum-(Un-)Kultur vorausahnen? Genuss wird verpönt – eine bescheidene Fettbemmenparty mit einem Glas Deli-Gurken und für jeden eine Flasche Bier oder ein Glas Wein mit sehr viel Gesang mit oder ohne Zerrwanst oder Gitarre – eine solche Mangelwirtschaft – undenkbar! Fett macht dick! Auch die Zigarette – vor und/oder danach ist gesundheitsschädlich und soll möglichst generell verboten werden. Eine Tüte Gras wird mit der ganzen Strenge ansonsten machtloser Gesetze drakonisch (zur Abschreckung und ohne nenenswerte Wirkung) bestraft und auch die freie Liebe soll langsam wieder hinter Gitter. So nach dem Motto: “Drogen sind schlecht, Sex ist verwerflich und die Welt ist eine Scheibe.” Wir kennen keinen Genuss mehr, nur noch Konsum. In Massen. Oder besser ausgedrückt: maßlos. Siehe Komasaufen. Die Wirtschaft muss gestärkt werden. Ich beobachte schon lange mit Besorgnis einen schleichenden bis galoppierenden Verlust von allgemeiner (materiell unmotivierter) Lebensfreude. Welch Ressourcenverschwendung! Auf der anderen Seite sollen und wollen die Leute möglichst mehr als 100 Jahe leben. Wozu eigentlich, wenn schon ein Stück Schokolade ein schlechtes Gewissen verursacht. Ich kann es Dir sagen: Weil die Pharmaindustrie, die Pflegemafia, die Heim- und Hilfsmittel- sowie die Sterbeverhinderungsindustrie weiterhin ihre Milliarden scheffeln wollen. Auf Kosten unsres Wohlergehens. Wie beschwerlich ein so hohes Alter ist, wird gar nicht thematisiert. Aus gutem Grund. Natürlich.
    Aber jetzt reichts. Ich will Dich nicht langweilen.
    Herzlichst Ingrid

  2. Olaf sagt:

    Pfffff… So schöne Kommentare krieg ich nich’….

    ;o)

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