der bimbo und die nazi-keule

Es gibt gescheite menschen, denen das zuviel ist: der nazi-vergleich. Wenn einer gar die generation heute in pflicht und schuld nimmt für die verbrechen unserer altvorderen, stellen sich ihnen nackenhaare. Zurecht, zuunrecht? Der versuch einer betrachtung.

Feststellungen

  • Nationalsozialisten gab es in den jeweils real existierenden deutschen staaten nicht nur zwischen 1920 und 1945.
  • Nationalsozialistisches gedankengut (warum das „gut“ heisst?) schwappte schon vor der gründung der dap (draus wurde die nsdap) durch die köpfe. Es Existierte halt keine spezielle bezeichnung dafür.
  • Mit der befreiung 1945 war der nationalsozialistische spuk nicht einmal ansatzweise vorbei. Wie hätte er auch sollen? Der braune ungeist, die fleischgebliebenen braunen geister hafteten, teils um-, teils unumerzogen, der neuen republik weiter an. In den regierungen, in den verwaltungen, in der justiz, in der polizei, in den geheimdiensten, in der wissenschaft, in der kultur, in der kneipe, im wohnzimmer am nierentisch. Globke, der rassengesetz-mitgeber, diente als graue eminenz hinter adenauer. Schleyer, der „alte nationalsozialist und ss-offizier“ (schleyer über schleyer), verstand seinen einsatz für die neue demokratie als kampf gegen gewerkschaften und betriebsräte. Lübke, der bundespräsident, hatte an der planung von konzentrationslagern mitgearbeitet. Und gudrun ensslin stritt zu beginn der 60-er um die  wiederauflage von werken des blut-und-boden-dichters vesper.
  • Auch vor den be-gnadeten einer späten geburt machte der nationalsozialistische schwummer nicht halt. Npd-mitglieder in deutschen landtagen, das ist keine errungenschaft der weiland neuen bundesländer. Manchmal hiessen die nazis in bundesdeutschen parlamenten auch dvu oder republikaner, an ihren wurzeln änderte das nichts.
  • Tumb-deutsche schläger-kolonnen gehörten und gehören auch nach dem verbot der sa zum strassenbild. Oft genannt in diesem zusammenhang brennende asylbewerber, die nsu-morde. Aus dem bewusstsein verdrängt indes der anschlag aufs münchner oktoberfest. Ich will tote nicht mit toten aufwiegen. Aber ich werde mir nicht nehmen lassen, es festzuhalten: zwischen 1971 und 1993 töteten mitglieder der roten armee-fraktion 34 menschen. Zwischen 1990 und 2011, so hat’s die amadeu antonio-stiftung aufgezählt, starben 184 menschen durch rechtsradikale hände. Die offizielle polizei-statistik führt 60 todesopfer. Worauf du dir selbst einen reim machen magst.
  • Die aktuelle gefahr durch nationalsozialisten und ihre anders-benamten nachfolge-organisationen ist so gross, dass auch der verfassungsschutz, nicht gerade als durchgeknallte antifa-organisation bekannt, die rechte szene weiterhin beobachtet. – dass das eher schlecht denn recht geschieht, steht auf einem anderen blatt.
  • Dass bei den republikanern zu deren hoch-zeit polizisten als mitglieder überdurchschnittlich hoch beteiligt waren, dass in einsatzwagen der bayrischen polizei rechtsextreme aufkleber entdeckt werden, dass polizeibeamte in einer deutschen ausgabe des ku-klux-klans mitmischten – es sei nur am rande erwähnt.

Lehren

Welche lehre wir draus ziehen? Die antwort ist so profan, so banal, dass es fast peinlich anrührt: dass die nationalsozialistische deutsche arbeiterpartei seit 1945 verboten ist, ändert nichts dran, dass es weiterhin nationalsozialisten, nationalsozialistische ideen und gewaltbereite, nationalsozialistische trinker-truppen gibt. (anmerkung am rande: schon deshalb verbietet sich ein verbot der npd. Aus den augen – aus dem sinn, damit lässt sich auch heute nichts habhafteres erzielen als ein wiederholendes „aber wir haben es ja nicht gewusst“.)

nazikeule

Sag ich in der kneipe zum nebensitzenden weizenbier-artisten „sag bitte nicht bimbo“, antwortet mir der totschlag-argumentierend übern glasrand: „holste mal wieder die nazi-keule aus deinem linken propaganda-rucksack?“ da bleibt nur der wunsch nach der rechnung und der stumme abgang. Oder?

Ja, ich sehe mich als linken. Aber muss es immer ein linker sein, der faschistische worte, sprüche, mitläufer, andeuter und denker als solche bezeichnet?

Solange ich mich in der öffentlichen wahrnehmung in die linke ring-ecke boxe mit meinen hinweisen auf die rechten haken meines combattanten, solange zumindest wird’s dringend sein, zu kontern.

Solange anti-faschist als schimpfwort herhalten muss und nicht als auszeichnung, wird’s für mich eine aufgabe (und ein ehrentitel) bleiben: anti-faschist.

Wenn mein löchriges wissen über faschismus einst und jetzt nicht als diskussionsgrundlage respektiert, sondern mit dem wort „keule“ abgetan und abgetan werden darf, werde ich gemeinsamkeiten, auch nur ähnlichkeiten, zwischen gegenwärtiger und allgegenwärtiger politik, gesellschafts-erscheinung, parolen-schreierei als das bezeichnen, was sie sind: faschistisch, faschistoid, nationalsozialistisch. Und wenn mir bei einem blätter durchs neueste vom tage dreimal fascho-ware vors auge kommt, dann bin nicht es, der inflationär mit dem begriff „nazi“ umgeht. Lasst uns stattdessen doch mal über den und das nachdenken, der und das so neu-braun daherkommt.

Schuld und verantwortung

Er gilt als gesellschaftsfähig: der hinweis, dass wir, die nachgeborenen, keine schuld tragen, aber die verantwortung dafür, dass nationalsozialistisches nie wieder geschehe. Was indes nicht verwechselt werden dürfe mit der verantwortung für das, was in den tausend jahren geschah. (welch unschuldiges wort für unsägliches grauen: „geschah“.)

Warum so viel unterscheidende semanterei? Ich werd meinen jahrgangskameraden (1957) nicht schuldig sprechen für die verbrechen, die väter und grossväter (vergesst mir die mütter nicht) begangen haben. Aber solange wir deutsche uns auf grosse geister wie goethe, kant, beethoven, adenauer, brandt, meinetwegen auch bismarck und kohl (müssen ja nicht meine sein) berufen, haben wir uns auch den ungeistern zu stellen. Nur indem wir uns dazu bekennen, dass es sie gegeben hat, die hitlers, himmlers, goebbels, görings, bormanns, eichmanns, können wir uns zum anti-faschismus und gegebenenfalls auch zu dem bekennen, was wir demokratisch nennen.

Wir müssen aber auch zwingend akzeptieren, dass es nicht der hitler, der himmler, der goebbels waren, die ihre mitmenschen geschlachtet haben. Sondern die menschen gleich hier um die ecke: der lehrer, der schuhmacher, der bäcker. Der polizist, der richter. Der arbeiter, der akademiker. Auch geistliche darunter. Nur diese Akzeptanz erlaubt es dem, der wert drauf legt, sich von der schuld, die eben doch eine kollektiv-schuld ist, freizusprechen.

Diesen freunden und feinden werde ich ihren selbst erteilten freispruch nicht krumm nehmen. So wie ich damit lebe, dass ich die schuld, die familien-mitglieder auf sich geladen haben, bis heute nicht ablegen kann. An diesem punkt wird’s eben persönlich.

Aber grad, weil ich und die meisten mitmenschen nicht wissen können, was aus uns geworden wäre als jemand der gnaden-los zwischen, sagen wir mal, 1889 und 1920 früh geboren wurde, grad deshalb also fordere ich von uns: nicht vergessen, nicht verdrängen, nicht verleugnen. Nicht verharmlosen, nicht verschweigen, nicht unkommentiert lassen. Das, was damals so schrecklich wirklich war und das, was uns heute in demokratischer tarnfarbe verkommt und drunter halt auch nur braun ist.

Und wenn du und ich deswegen mehr bekämpft werden, als die, die uns aufmucken lassen, dann lass es uns als anstoss nehmen. Dafür, nicht die rechnung zu verlangen, wenn die nase neben dir genüsslich das wort „bimbo“ rotzt. Nehmen sie wir an, diese herausforderung. Damit, dass sie von zu wenigen angenommen wurde, hat’s mal angefangen.

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