“Lied des einfachen Menschen”

jura soyfers eltern flohen 1920 vor der russischen revolution nach österreich. jura, der jüdische satiriker, lyriker, romanschriftsteller und theaterautor starb 1939 26-jährig im kz buchenwald. nachfolgend soyfers

Lied des einfachen Menschen

Menschen sind wir einst gewesen
Oder werden’s eines Tages wieder sein
Wenn wir gründlich von all dem genesen
Aber sind wir heute Menschen?

Wir sind der Name auf dem Reisepass
Wir sind das stumme Bild im Spiegelglas
Wir sind das Echo eines Phrasenschwalls
Und Widerhall des toten Widerhalls.

Längst ist die Menschlichkeit zertreten
Wahren wir doch nicht den leeren Schein!
Wir, in unseren tief entmenschten Städten
Sollen wir uns noch Menschen nennen?

Soll der Mensch in uns sich einst befreien
Gibt’s dafür ein Mittel nur allein
Stündlich fragen, ob wir menschen seien
Stündlich uns die Antwort geben: nein!

Wir sind das schlecht entworfne Skizzenbild
Des Menschen, den es erst zu zeichnen gilt
Ein armer Vorklang nur zum großen Lied
Ihr nennt uns Menschen? Wartet noch damit!

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1 Antwort zu “Lied des einfachen Menschen”

  1. Olaf sagt:

    Wie wahr, wie wahr… Und wieder so aktuell, weil mörderische Zeiten eine wiederholte Renaissance erleben.

    Mehr als 70 Jahre später können wir uns noch immer nicht Menschen nennen. Schämen tut man sich. Aber das ist den Leuten so egal, wie der Tod dieses jüdischen Dichters.

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